1995 war es soweit: Die deutsche Pflegepflichtversicherung wurde als neues Standbein der sozialen Absicherung eingeführt. Ihr Ziel ist nicht – wie zum Beispiel bei der Krankenversicherung – die Komplettabsicherung bei Pflegebedürftigkeit, sondern eine Kostenbeteiligung.
Seit der Gründung hat sie sich prächtig entwickelt: Heute beträgt die Zahl der Versicherten insgesamt über 82 Millionen.
Das Leistungsspektrum umfasst ambulante und stationäre Pflegeleistungen, wobei die Höhe der Leistungen vom Grad der Pflegebedürftigkeit abhängt sowie davon, wo und durch wen die Pflege durchgeführt wird.
Faustformel: Je höher der Pflegegrad, desto höher sind in der Regel die Leistungen.
Außerdem gilt der Grundsatz "ambulant vor stationär". Viele gesetzliche Regelungen zielen auf eine Stärkung der häuslichen Pflege ab.
Wie wichtig die Pflegepflichtversicherung ist, zeigt der Blick auf die Leistungsempfänger*innen. Waren es Ende 2019 noch 4,2 Millionen Personen, stieg die Zahl Ende 2020 auf insgesamt ca. 4,88 Millionen Personen.
Vorweg: Die Pflegepflichtversicherung ist – wie der Name schon sagt – eine Pflichtversicherung für alle Bürgerinnen und Bürger.
Trotzdem wird zwischen sozialer und privater Pflegepflichtversicherung unterschieden. Grund hierfür ist das Krankenversicherungssystem, in dem der/die Versicherte beheimatet ist. So versichert die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ihre Mitglieder in der sozialen Pflegepflichtversicherung, während privat Krankenversicherte eine private Pflegepflichtversicherung abschließen müssen.
Beide Systeme sind in den Leistungen gleich, da sie sich nach dem Sozialgesetzbuch richten müssen. Im Folgenden gehen wir kurz auf die wesentlichsten Unterschiede ein:
Soziale Pflegepflichtversicherung (SPV) | Private Pflegepflichtversicherung (PPV) |
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Beitragsberechnung | Beitragsberechnung |
Die Höhe des Beitrages ist abhängig vom Einkommen des/der Versicherten und dem Beitragssatz zur Pflegepflichtversicherung. Der Beitragssatz wird auf die beitragspflichtigen Einnahmen maximal bis zur Beitragsbemessungsgrenze erhoben. Der Höchstbeitrag liegt im Jahr 2023 bei 152,12 Euro (bzw. 169,58 Euro für Kinderlose). Sowohl eine Einkommenserhöhung als auch die jährliche Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze führen automatisch zu einer Beitragssteigerung (bis zum Höchstbeitrag). Auch die Veränderung des Beitragssatzes hat Auswirkungen auf den Beitrag. Es gelten die Vorschriften der Familienversicherung. | Die Höhe des Beitrages bemisst sich nicht nach dem Einkommen, sondern richtet sich nach dem Lebensalter und Gesundheitszustand beim Eintritt in die Pflegeversicherung. Der maximale Beitrag ist auf den Höchstbeitrag der sozialen Pflegeversicherung begrenzt (2023: 152,12 Euro bzw. 169,58 Euro für Kinderlose). Für Beamte/Beamtinnen und Beamtenanwärter/Beamtenanwärterinnen gibt es die beihilfekonforme Pflegeversicherung (Tarif PVB). Die Beiträge werden jährlich überprüft und ggf. angepasst. Die PPV kennt keine Familienversicherung. Für Kinder und Jugendliche muss kein Beitrag gezahlt werden. Zudem ist in den Bedingungen eine Ehegattenkappung vorgesehen. |
Laufende Finanzierung | Laufende Finanzierung |
Die soziale Pflegepflichtversicherung finanziert mit dem Umlageverfahren die laufenden Pflegekosten. Dabei zahlt sie die Ausgaben aus den aktuellen Beitragseinnahmen von Arbeitgebern/Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen. Ein Vorsorgeanteil wird nicht gebildet. Somit müssen die Folgen des demografischen Wandels und der damit einhergehende Kostenanstieg im Wesentlichen von der nächsten Generation finanziert werden. | In der privaten Pflegepflichtversicherung erfolgt die Finanzierung durch eine Kapitaldeckung: Jede Generation von Versicherten sorgt bei diesem Modell durch die Bildung von Alterungsrückstellungen frühzeitig für ihr mit dem Alter steigendes eigenes Pflegerisiko vor. Dadurch werden keine Finanzierungslasten auf kommende Beitragszahler-Generationen verschoben. Es wird vielmehr schon in jungen Jahren ein Kapitalstock zur Zukunftsvorsorge und Entlastung der nachfolgenden Generation aufgebaut. Dies stabilisiert die Beiträge in der privaten Pflegepflichtversicherung im Alter und macht die Privatversicherten im Hinblick auf die sich ändernde Altersstruktur unabhängig. |
Seit der Einführung der Pflegepflichtversicherung hat das Thema Pflege immer mehr an Bedeutung gewonnen. Der medizinische Fortschritt und die daraus resultierende steigende Lebenserwartung beeinflussen das Modell der Pflegepflichtversicherung und deren Beitragsberechnung.
Die Lebenserwartung ist in den letzten 20 Jahren bei Männern und Frauen in Deutschland um mehr als zwei Jahre gestiegen. Dies führt dazu, dass auch die Wahrscheinlichkeit, Pflege in Anspruch zu nehmen, steigt.
Kostentreiber sind zum Beispiel:
Hierzu ein Beispiel:
Der Gesetzgeber hat die Pflegeversicherung zu millionenschweren Zusatzleistungen für politische Sonderprogramme verpflichtet. Die Pflegepflichtversicherung (PPV) muss beispielsweise seit 2019 jedes Jahr 44 Millionen Euro pauschal für die Förderung von 13.000 zusätzlichen Pflegestellen zahlen, obwohl bisher nur knapp 3.000 Pflegestellen geschaffen worden sind. Wenn die PPV statt der hohen Pauschale nur ihren Anteil für jede tatsächlich zusätzlich eingestellte Pflegefachkraft übernehmen müsste, wäre ihr Beitrag geringer.
Die Zahlen sprechen für sich:
Die seit einigen Jahren niedrigen Kapitalmarktzinsen haben Einfluss auf die Beiträge der Pflegepflichtversicherung. Denn wir erhalten mit unseren Kapitalanlagen deutlich weniger Zinseinnahmen als in den früheren Jahren. Dies führt dazu, dass der einkalkulierte Rechnungszins gesenkt und die fehlenden Zinsgewinne durch höhere Beiträge aufgefangen werden müssen.
Wir hoffen, dass durch die Trendwende im Bereich der Zinsen in den nächsten Jahren wieder mit höherer Verzinsung gerechnet werden kann.
Wichtig: Die privaten Versicherer können – anders als die gesetzlichen Krankenversicherer – die Beiträge nicht vorsorglich erhöhen, sondern dürfen erst nachträglich auf reale Kostenentwicklungen reagieren. Deshalb sehen die Versicherten der privaten Pflegepflichtversicherung die Auswirkungen von Leistungserhöhungen erst zeitverzögert in ihren Beiträgen abgebildet.
Die Beitragskalkulation nach dem Kapitaldeckungsverfahren erfordert für die private Pflegepflichtversicherung eine regelmäßige Überprüfung, wie wir sie aus dem Bereich der Krankenversicherung kennen. Gesetzlich wird eine jährliche Überprüfung vorgeschrieben. Für diesen verbandseinheitlichen Tarif übernimmt dies der PKV-Verband für alle PKV-Unternehmen.
Dabei werden zunächst nur die Versicherungsleistungen und die Sterbewahrscheinlichkeiten betrachtet. Ein Beitrag muss überprüft und ggf. angepasst werden, wenn die erforderlichen von den kalkulierten Leistungsausgaben bzw. Sterbewahrscheinlichkeiten die Abweichung eines Schwellenwertes von mindestens fünf Prozent aufweisen. In dem Zuge werden alle Rechnungsgrundlagen (Rechnungszins, Sterbewahrscheinlichkeiten, Storno, Versicherungsleistungen, Kosten) überprüft und ggf. aktualisiert. Voraussetzung ist, dass die Abweichung nicht nur vorübergehend ist. Die erforderliche Beitragshöhe wird vom PKV-Verband ermittelt und allen PKV-Unternehmen als Vorgabe weitergegeben.
Gut zu wissen: Alle PKV Unternehmen sind zur Umsetzung verpflichtet.
Die Beiträge werden zum 1. Januar 2023 für Personen ohne Beihilfeberechtigung (Tarif PVN) angehoben. Nur bei ihnen wichen die Leistungsausgaben um mehr als fünf Prozent von der ursprünglichen Beitragskalkulation ab. In den Tarifen für Beamtinnen und Beamte war dies allerdings im Jahr 2020 der Fall, so dass sie bereits im Jahr 2021 von einer Beitragserhöhung betroffen waren.
Hauptgrund dafür sind beschlossene Reformen. So werden seit diesem Jahr Pflegebedürftige von steigenden Zuzahlungen für die Pflege im Heim entlastet und Pflegekräfte sollen künftig generell nach Tarif bezahlt werden.
Die Private Pflegepflichtversicherung (PPV) muss die Mehrkosten aus Beitragsgeldern aufbringen. Allein für sie bedeuten die Reform zusätzliche Ausgaben von mindestens 150 Millionen Euro im Jahr.
Aber auch auf der Leistungsseite sind enorme Veränderungen zu sehen:
Die Zahl der Leistungsempfänger*innen in der PPV ist von rund 169.000 im Jahr 2014 (also vor den Pflegereformen) auf fast 292.000 im Jahr 2021 gestiegen. Das ist ein Zuwachs von mehr als 70 Prozent. Insgesamt stiegen die Leistungen der PPV im selben Zeitraum von rund 790 Millionen Euro auf 1,615 Milliarden Euro im Jahr, sie haben sich somit mehr als verdoppelt.
Auch eine Rolle spielt die jahrelange Null-Zins Politik der EZB.
Die Beitragskalkulation erfolgt nach strengen rechtlichen Vorgaben. Sowohl die Notwendigkeit einer Beitragsanpassung als auch die Berechnung selbst muss von einem unabhängigen mathematischen Treuhänder geprüft werden. Für die nun anstehende Beitragserhöhung in der PPV hat der Treuhänder seine Zustimmung am 8. Oktober 2022 erteilt.
Die letzte Beitragsanpassung ist drei Jahre her
Rückblickend zeigt sich, dass eine Beitragserhöhung in Tarif PVN im Durchschnitt alle 2,2 Jahre erforderlich war. Die letzte Erhöhung fand zum 1. Januar 2020 statt und ist somit bereits drei Jahre her.
Corona-Zuschlag ist keine Beitragsanpassung
Von der regulären Beitragsanpassungssystematik ist die Erhebung des Corona-Zuschlags zu unterscheiden, der im Jahr 2022 zu zahlen war. Mit ihm wurden die Mehrausgaben für den Pflegerettungsschirm und die Coronavirus-Testverordnung wegen der Pandemie ausgeglichen. Er betrug für die Versicherten ohne Beihilfeberechtigung 3,40 Euro im Monat und fällt ab Ende des Jahres 2022 automatisch weg.
Perspektive
Die durch die Pflegereformen gestiegenen Leistungsausgaben sind mit dem neuen Beitrag nun langfristig einkalkuliert, so dass aufgrund dieser Leistungsausweitungen nicht mit weiter steigenden Beiträgen gerechnet werden muss. Zukünftige Pflegereformen mit erneuten Leistungsausweitungen könnten jedoch auch weitere Beitragsanpassungen notwendig machen.
Grundsätzlich gilt allerdings immer die Garantie, dass der Beitrag in der PPV nach einer Versicherungszeit von fünf Jahren nicht höher sein darf als der Höchstbeitrag in der sozialen Pflegeversicherung (SPV). Diese Regelung bedeutet, dass die Versicherten im Jahr 2023 monatlich nicht mehr bezahlen als 152,12 Euro (bzw. 169,58 Euro für Kinderlose).
Gut zu wissen:
Die soziale Pflegeversicherung (SPV) erhält zur Gegenfinanzierung einen Zuschuss aus Steuermitteln von jährlich einer Milliarde Euro. Die Beiträge werden also künstlich herunter subventioniert. Ob und wann es zu einer Erhöhung des Beitragssatzes in der SPV kommt, ist noch nicht absehbar.
Wir gehen aber davon aus, dass eine Beitragssatzerhöhung (neben der schon beschlossenen Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze) unumgänglich wird.
Ab 2023 beträgt der durchschnittliche Monatsbeitrag in der PPV rund 104 Euro. Damit liegt er weiterhin deutlich unter den Beiträgen in der SPV, die für kinderlose Durchschnittsverdiener*innen rund 122 Euro und bei Einkünften an der Bemessungsgrenze nahezu 170 Euro betragen.
Mit anderen Worten: Die Kund*innen der PKV haben bisher monatlich Beiträge gespart und obwohl der Abstand durch die hohe BAP kleiner geworden ist, ist die Beitragsbelastung in der PKV deutlich niedriger.
Und die noch bessere Nachricht: In den Beiträgen der PPV ist ein hoher Sparbeitrag enthalten (Stichwort Alterungsrückstellung). In der deutlich teureren SPV nicht. Somit sorgen die Kund*innen mit geringerem Beitrag schon heute fürs Alter vor.
Folgende Grafik zeigt eindrucksvoll die Korrelation zwischen Pflegereformen und Leistungsaufwänden. Die Leistungserweiterungen, die den Versicherten Vorteile und Entlastungen bringen, müssen finanziert werden.
Natürlich ist die SPV von steigenden Leistungen und Leistungsempfängern bzw. Leistungsempfängerinnen ebenso betroffen.
Auch hier zeigt sich eine deutliche Beitragsentwicklung nach oben:
Im Jahre 1995 hat man mit einem Beitragssatz von 1,0 Prozent begonnen, der sich bis heute auf 3,05 Prozent steigerte. Gleichzeitig stieg die Beitragsbemessungsgrenze von rund 3.000 Euro auf inzwischen fast 5.000 Euro.
Dies entspricht einer Höchstbeitragssteigerung von 29,91 Euro im Jahre 1995 auf 152,12 Euro (ab 1. Januar 2023) in der Pflegepflichtversicherung. Seit dem Jahre 2005 wird ein Beitragszuschlag für Kinderlose eingeführt. Dieser beträgt seit Januar 2022 3,4 Prozent. Er führt dazu, dass der monatliche Höchstbetrag für diesen Personenkreis ab 1. Januar 2023 169,58 Euro beträgt.
Alle Experten sind sich einig, dass die deutsche Gesellschaft zunehmend altert. Die Folgen treffen den Pflegesektor in besonderem Maße. Zum einen steigt die Anzahl der zu pflegenden Personen stetig, zum anderen finden sich auf dem Arbeitsmarkt immer weniger Pflegekräfte. Dies ist eine große Herausforderung für die Pflegepflichtversicherung.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Anteil an Senioren im Laufe der nächsten 20 Jahre enorm wächst.
Bisher hat es keine Pflegereform geschafft, eine Patentlösung für die finanzielle Aufstellung und vor allem den Umgang mit den demographischen Erkenntnissen zu liefern.
Die Belastungen werden höher und in erster Linie von den Steuerzahlern zu stemmen sein. Berechnungen des Wissenschaftlichen Instituts der Privaten Krankenversicherung (WIP) zufolge müsste der Bundeszuschuss zur SPV bis 2030 von anfangs eine Milliarde Euro auf 10,4 Milliarden Euro pro Jahr steigen.
Insgesamt wären bis 2030 bereits 60,5 Milliarden Euro Bundeszuschuss notwendig. Würde man den Berechnungen die Ein- und Ausgabeentwicklung der vergangenen 20 Jahre zugrunde legen, wäre schon bis 2030 ein Bundeszuschuss in Höhe von 32,1 Mrd. Euro pro Jahr fällig.
Ziel im Auge behalten
Perspektivisch geht es um die nachhaltige Sicherung der Pflegeleistungen in einer alternden Gesellschaft und die Förderung von privater Pflegevorsorge.
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