Pflegebedürftigkeit und Erwerbsminderung

Risiko & Vorsorge im Fokus
Biometrie: ein vielschichtiger Begriff
In der Versicherungswelt bezieht sich der Begriff Biometrie auf Risiken und elementare Veränderungen des Lebens. Im Rahmen der Gothaer Studie Biometrische Risiken wurden aktuelle Entwicklungen zu den folgenden Themen untersucht:
- Pflegebedürftigkeit: Leben in Unselbständigkeit
- Teilweise und volle Erwerbsminderung
- Nervenkrankheiten und psychische Erkrankungen
Elementare Veränderungen des Lebens

Wissenschaft von der Körpermessung von Lebewesen
Biometrie ist, kurz gesagt, die Wissenschaft von der Körpermessung von Lebewesen. Dabei werden in der Regel physische oder verhaltenstypische Merkmale von Lebewesen erfasst und analysiert. Ähnlich, aber doch anders ist die Definition von Biometrie in der Informationstechnologie. Hier liegt der Fokus darauf, Personen aufgrund ihrer individuellen Merkmale zu erkennen. Durch diese automatisierte Messmethode lässt sich eine Person über ein spezifisches Merkmal bestimmen und von anderen Personen unterscheiden. Über biometrische Methoden soll somit stets die Identität einer Person bestimmt oder bestätigt werden. Solche Methoden kommen im Bereich der Informationstechnologie vor allem für Sicherheitszwecke zum Einsatz, etwa bei technischen Lösungen für die Zugangskontrolle. Konkret lässt sich eine Person über biometrische Methoden durch einige physische Merkmale wie den Fingerabdruck oder die Iris eindeutig vermessen und charakterisieren.
Die Versicherungswissenschaft spricht von Lebensrisiken
Die Versicherungswissenschaft hat ein anderes Verständnis von Biometrie. Es beschreibt eine Gruppe von Risiken, die unmittelbar mit dem Lebensablauf eines Menschen verbunden sind. Zu ihrer jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeit liegen statistische Quellen vor, auf die die Versicherungen bei der Konzipierung ihrer Produkte und Tarife zurückgreifen können. Die Risiken beziehen sich auf Ereignisse, die die bisherige Lebensweise einer Person fundamental verändern. Dazu zählen beispielsweise der Todesfall, die Berufsunfähigkeit bzw. die Invalidität, schwere Erkrankungen, die Langlebigkeit sowie die Pflegebedürftigkeit. Der Auszug aus den Sterbetafeln veranschaulicht, dass die Menschen in Deutschland eine immer größere Lebenserwartung haben. Mit der sich kontinuierlich steigenden Lebenszeit erhöht sich auch der Vorsorgebedarf.

Versicherer analysieren die Eintrittswahrscheinlichkeiten
Die biometrischen Risiken in versicherungstechnischer Hinsicht bezeichnen nicht nur den Grad der Wahrscheinlichkeit, mit der bestimmte schwerwiegende Ereignisse eintreten können. Vielmehr gehören auch das Nichteintreten eines biometrischen Risikos und der Wegfall eines Risikos dazu. Als konkretes Beispiel dafür lässt sich das bereits erwähnte Langlebigkeitsrisiko anführen. Dieses beschreibt das Risiko, dass eine Person ein bestimmtes Lebensalter überschreitet.
Ein anderes Beispiel ist das Reaktivierungsrisiko, also das Ende einer zeitweiligen Berufsunfähigkeit, Invalidität oder Pflegebedürftigkeit und dadurch die eventuelle Wiederherstellung der vollständigen Erwerbsfähigkeit. Personenversicherer bieten diverse Produkte zur Absicherung der verschiedenen biometrischen Risiken an. Mit einem Vertragsabschluss sind für die Versicherer Leistungsverpflichtungen verbunden, die zumeist an das Eintreten der jeweiligen Risiken geknüpft sind. Versicherer analysieren deren Eintrittswahrscheinlichkeiten, aktuelle Trends und die jeweiligen Risikokriterien, um auf dieser Datenbasis die Versicherungsbeiträge zu kalkulieren und die Reservebewertung vorzunehmen.
Pflegebedürftigkeit verändert das Leben vollkommen
Pflegebedürftigkeit bedeutet zumeist ein Leben in Unselbständigkeit
Ein biometrisches Risiko ist die Pflegebedürftigkeit. Sie liegt vor, wenn eine Person wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des Alltags auf Dauer, voraussichtlich aber mindestens sechs Monate lang, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf. Verrichtungen des täglichen Lebens sind Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung stehen.
Die Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung sind entsprechend der Beurteilung des Grads der Pflegebedürftigkeit und der Art der Pflege – ambulante Pflege oder stationäre Pflege – gestaffelt. Der Grad der Pflegebedürftigkeit wird hauptsächlich auf der Basis der Dauer des durchschnittlichen täglichen Pflegebedarfs ermittelt. Dabei ist der Anteil der hauswirtschaftlichen Versorgung am täglichen Pflegebedarf per Definition gedeckelt.
Für die einzelnen Pflegestufen gelten Mindestvoraussetzungen
- Damit eine Person in die Pflegestufe 1 eingeordnet werden kann, muss für sie mindestens einmal täglich Hilfebedarf bestehen.
- Für eine Einstufung in die Pflegestufe 2 muss eine Person mindestens dreimal täglich Hilfe benötigen.
- Bei einer Einstufung in die Pflegestufe 3 benötigt eine Person rund um die Uhr Hilfe, auch nachts.
Die Pflegebedürftigkeit wird in der deutschen sozialen Pflegepflichtversicherung vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen für die gesetzlich Versicherten bzw. von der Gesellschaft Medicproof im Bereich der privaten Pflegepflichtversicherung geprüft. Ergänzend ist es ratsam das Pflegerisiko mit einer privaten Pflegeversicherung abzusichern.
Teilweise Erwerbsminderung und volle Erwerbsminderung
Neben der Pflegebedürftigkeit stellt die Invalidität im Sinne der Erwerbsminderung ein weiteres biometrisches Risiko dar. Zu unterscheiden sind die teilweise und die volle Erwerbsminderung. Teilweise erwerbsgemindert sind Sozialversicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind dagegen Sozialversicherte, die unter den gleichen Voraussetzungen nicht mehr als drei Stunden täglich erwerbstätig sein können.
Nervenkrankheiten sind auf dem Vormarsch

Nervenkrankheiten und psychische Erkrankungen sind die häufigsten Ursachen für Berufsunfähigkeit
Von der Invalidität ist die Berufsunfähigkeit (BU) zu unterscheiden. Diese liegt vor, wenn eine versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen außerstande ist, ihren Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht. Warum werden Menschen berufsunfähig? Nervenkrankheiten und psychische Erkrankungen sind laut dem Analysehaus Morgen & Morgen die Hauptursache dafür, dass Menschen berufsunfähig werden. Danach sind 29 Prozent aller Leistungsfälle auf Nervenkrankheiten zurückzuführen, mit 23 Prozent folgen Erkrankungen des Skelett- und Bewegungsapparates und Krebserkrankungen.
Sowohl bei Frauen als auch bei Männern sind Nervenkrankheiten und psychische Erkrankungen inzwischen die häufigsten Ursachen für eine Berufsunfähigkeit. Das ist bei Frauen schon länger so, während bei Männern in der Vergangenheit vor allem Beschwerden des Bewegungsapparats an der ersten Stelle der Ursachen für eine Berufsunfähigkeit standen. Das liegt zum einen daran, dass Männer im Schnitt höheren Belastungen im Arbeitsleben ausgesetzt waren und sind, gerade körperlichen Belastungen. Zum anderen werden heute mehr psychische Erkrankungen als in der Vergangenheit auch als solche diagnostiziert und behandelt. Laut der Deutschen Rentenversicherung sind sogar fast 40 Prozent der Berufsunfähigkeitsfälle bei Frauen auf psychische Erkrankungen zurückzuführen.
Berufsunfähigkeit eines der größten biometrischen Lebensrisiken
Im Zeitraum von 2008 bis 2012 stieg die Anzahl der Leistungsfälle in der Berufsunfähigkeit laut Morgen & Morgen im Schnitt um 20 Prozent von 34.000 auf 42.000 Fälle pro Jahr. Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist heute eines der wichtigsten Versicherungsprodukte für Erwerbstätige. Nach Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft liegt der Bestand an Berufsunfähigkeitsversicherungen bei gut 16,9 Millionen Verträgen. Angesichts von 41,5 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland ist der Versicherungsbedarf aber erst teilweise gedeckt.
Jeder vierte Arbeitnehmer muss seinen Beruf vorzeitig aufgeben
Immerhin muss laut der Deutschen Rentenversicherung jeder vierte Arbeitnehmer im Laufe seines Erwerbslebens seinen Beruf vorzeitig aufgeben. Nachdem die staatliche Absicherung der Erwerbsminderung 2001 deutlich geändert wurde, fällt es Menschen, die von Berufsunfähigkeit betroffen sind, heute noch schwerer, ihren bisherigen Lebensstandard zu halten. Alle nach 1961 Geborenen erhalten keine staatlichen Leistungen im Falle einer Berufsunfähigkeit.
Zu den Berufen mit dem höchsten Risiko, erwerbsunfähig zu werden, gehören laut mapreport Gerüstbauer, Dachdecker und Bergarbeiter. Sie alle verrichten körperlich schwere Arbeit. Mehr als die Hälfte der Gerüstbauer, Dachdecker und Bergarbeiter arbeiten gar nicht erst bis zum regulären Renteneintrittsalter, sondern beziehen schon vorher eine Erwerbsminderungsrente. Physiker und Chemiker zählen statistisch gesehen ebenso wie Ärzte, Maschinenbauingenieure und Verbandsleiter zu den ungefährlichsten Berufen mit Blick auf die Erwerbsminderung.
Glossar: Pflegebedürftigkeit und Erwerbsminderung
Berufsunfähigkeit: Voraussichtlich mindestens sechs Monate infolge von Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls ununterbrochen andauernde Unfähigkeit des Versicherten, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die er aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausüben könnte und die seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Die Berufsunfähigkeit ist von der Erwerbsunfähigkeit abzugrenzen.
Betriebliche Altersversorgung (bAV): Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung, die einem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugesagt worden sind. Neben der Arbeitgeberfinanzierung gibt es arbeitnehmerfinanzierte bAV (Entgeltumwandlung). Seit 1. Januar 2002 besteht ein Rechtsanspruch der Arbeitnehmer auf Entgeltumwandlung in Höhe von 4 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung (2014: 2.856 Euro).
Biometrie: Oberbegriff einer Gruppe von Risiken, die eng mit dem Lebenslauf eines Menschen zusammenhängen und über deren Eintrittswahrscheinlichkeit umfangreiche Statistiken vorhanden sind.
Demographische Entwicklung: Vorausberechnungen zum zukünftigen Altersaufbau der Bevölkerung. Dread-Disease-Versicherung: Absicherung gegen die finanziellen Risiken schwerer Krankheiten.
Erwerbsunfähigkeit: Unfähigkeit eines Menschen, seinen Lebensunterhalt durch Ausübung einer beruflichen Tätigkeit zu verdienen, aufgrund eines Zustands physischer oder psychischer Schwäche, der krankheits- oder behinderungsbedingt ist.
Invalidität: Invalide sind Personen, die aufgrund einer schweren Krankheit oder nach einem Unfall ihrer erlernten beruflichen Tätigkeit nicht mehr nachgehen können.
Pflegebedürftigkeit: Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI bzw. § 61 SGB XII Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen. Über das Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit entscheiden der Medizinische Dienst der Krankenkassen bzw. Medicproof. Bei Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit wird zudem eine Pflegestufe festgestellt, die maßgeblich für die Höhe der von der Pflegeversicherung zu erbringenden Leistungen ist.